Crossing Europe 2020 – EXTRACTS
Tribute VALIE EXPORT
Essay: Feminismus und Medienavantgarde.
Brigitta Burger-Utzer
Zweifellos ist VALIE EXPORT eine der vielseitigsten und international bekanntesten Künstlerinnen Österreichs, deren Wirkung und Einfluss weiterhin anhält. Denn was ihr Werk ausmacht ist einerseits die Entwicklung eines radikalen, aktionistischen Feminismus, andererseits ein avantgardistischer Zugang zu neuer Medientechnologie. In der Auswahl der künstlerischen Materialien, vor allem des (eigenen) Körpers, steht sie in einer Reihe mit Marina Abramovic und Carolee Schneemann oder Joan Jonas, in ihrer Vielseitigkeit des künstlerischen Ausdrucks ist sie wohl einzigartig. Dem beharrlichen Interesse an den kulturellen Repräsentationen des weiblichen Körpers steht eine multimediale Praxis und Theorie gegenüber, die Installationen, konzeptuelle Fotografien, Zeichnungen, Skulpturen, Texte, Performances, Filme und Videos umfasst.
Die zentrale Rolle in ihrem Werk spielt das Bewegtbild, als originäre filmische Arbeiten oder in Installationen integriert. Innerhalb der Film- und Videokunst besticht sie mit einer Bandbreite an Formen, die alle im Tribute-Programm vertreten sind.
Die drei Spielfilme VALIE EXPORTs versammeln Ideen und Kunstobjekte für ein erzählerisches Kino, die sie bereits zuvor in ihrer künstlerischen Praxis erprobt hat: „Die Narration vereinfacht die Vermittlung von Themen und Inhalten.“?[1]. In Unsichtbare Gegner (1976) zweifelt die Fotografin Anna an der Realität ihrer Erfahrungen. Sie kann nicht mehr festmachen, ob ihre verschobene Wahrnehmung daran schuld ist oder die Veränderung der Menschen und der gegenständlichen Welt um sie herum. Gelegentlich wird diese destabilisierte Frau als schizophren beschrieben, vielleicht ist sie aber auch auf der Suche nach ihrer ureigenen Identität.
Dass diese Suche zum Scheitern verurteilt bzw. nur mit Verlusten erfolgreich ist, thematisiert EXPORT in vielen ihrer Arbeiten: „denn der mann hat für mann und frau das bild der frau bestimmt, die sozialen und kommunikativen medien wie wissenschaft und kunst, wort und bild, kleidung und architektur, gesellschaftlicher verkehr und arbeitsteilung, werden von männern geschaffen und kontrolliert. (…) wenn die wirklichkeit eine gesellschaftliche konstruktion ist und deren ingenieure die männer sind, liegt eine männliche wirklichkeit vor.“?[2]
Auch in Die Praxis der Liebe (1984) will sich eine Frau in der Arbeitswelt der Männer durchsetzen und scheitert. Der Thriller um eine gesellschaftskritische Journalistin, die Korruption in Wirtschaft und Politik aufdeckt, führt zudem eine grundsätzliche Diskrepanz vor: Weibliche Sexualität und heterosexuelle Erotik (die Hauptfigur hat zwei Liebhaber) verbunden mit einem intellektuellen Geist führt zu energieraubenden Konflikten und herben Enttäuschungen.
Vier Frauen werden von EXPORT in Menschenfrauen (1979) zueinander und zu einem Mann in Beziehung gezeigt, durchaus beabsichtigt mit vielen Klischees. Aus einem für alle unbefriedigenden Beziehungsgeflecht entwickelt sich für die einen utopische Freiheit, für die anderen der Abgrund. Jedenfalls sind die Protagonistinnen in EXPORTs Spielfilmen nie einfache Heldinnen, sondern komplexe Frauenfiguren mit ihren Dämonen, Zumutungen und Schmerzen.
In der relativ kurzen Zeitspanne, in der Expanded Cinema (Erweitertes Kino) in Österreich in seiner Dekonstruktion des Dispositivs Kino und in zahlreichen Vorführungen im In- und Ausland von den Künstler*innen vorangetrieben wurde, war VALIE EXPORT (oft gemeinsam mit Peter Weibel) an vorderster Front. Viele ihrer Aufführungen wurden nicht aufgezeichnet und existieren heute nur mehr als Konzept mit theoretischem Hintergrund oder als Fotografie. Zu Adjungierte Dislokationen (1973) schrieb VALIE EXPORT: „es wird nicht nur etwas gezeigt, sondern auch das zeigen aufgezeigt. es wird nicht nur etwas dargestellt, sondern auch die darstellung dargestellt. es wird ein raumgefühl erzeugt, wie es nur der film erzeugen kann: gleichzeitig von hinten und vorne, oben und unten und sich von außen im mittelpunkt eines raumes sehen.“?[3]
Die erste Aufführung des TAPP und TASTKINO fand 1968 in Wien statt, danach an zahlreichen Orten in Deutschland und den Niederlanden. Bei der einzigen noch erhaltenen Aufnahme handelt es sich um eine Aktion, die extra für die TV-Sendung „Apropos Film“ 1969 in München stattfand: Peter Weibel am Megaphon lädt da die Menschen ein, den Kasten/das Kino vor EXPORTs Busen zu besuchen und schwingt dazu politische Reden.
Die feministisch orientierte Repräsentationskritik VALIE EXPORTs musste zu einer Erweiterung des Expanded Cinema führen, es kam zum Einsatz des/ ihres Körpers als künstlerisches Material in den Körper-Aktionen, später Performances benannt. In Mann & Frau & Animal performt sie eigens für den Film: Zuerst führt sie nüchtern das genießerische Ritual des Masturbierens in der Badewanne mit einem Wasserstrahl vor, um danach die von Blut und Sperma verschmierte Vagina, grotesk begleitet von männlichem Grunzen, in Szene zu setzen. Es stellt sich die Frage, ob das Animalische Mann und Frau verbindet anstatt, wie landläufig behauptet, trennt.
Die medienreflexiven Performances VALIE EXPORTs wie etwa Sehtext: Fingergedicht (1968/73), Hauchtext: Liebesgedicht (1970/73) und Body Tape (1970), später dann the voice as performance, act and body (2007) sind Beispiele ihrer jahrzehntelangen Beschäftigung mit Sprache als Kommunikationsform und der subjektiven Stimme als Teil einer mühsam zu konstituierenden Identität.
Das österreichische Fernsehen öffnete sich Ende der 1960er Jahre gegenüber zeitgenössischer Kunst mit den Sendungen „Impulse“ und später den „Kunststücken“, wo viele Medienkünstler*innen ihre Arbeiten zeigten oder sogar dafür konzipierten. VALIE EXPORT war von Beginn an dabei und realisierte nicht nur gesellschafts- und medienkritische Arbeiten, sondern auch wissensvermittelnde Sendungen über experimentellen Film und Aktionskunst und vier Dokumentarfilme. Das bewaffnete Auge. VALIE EXPORT im Dialog mit der Filmavantgarde (1984) gibt in drei Teilen einen Überblick über die wichtigsten Strömungen von den 1920er Jahren bis zu Performancearbeiten von Yvonne Rainer, einer künstlerischen Schwester im Geist.
| Brigitta Burger-Utzer, Filmagentin und -kuratorin (sixpackfilm) |
[1] In der Erweiterung liegt die Möglichkeit zur Veränderung. Gespräch mit VALIE EXPORT. Von Brigitta Burger-Utzer und Sylvia Szely. In „EXPORT LEXIKON. Chronologie der bewegten Bilder bei VALIE EXPORT“, hrsg. von Sylvia Szely (Wien, Sonderzahl 2007).
[2] VALIE EXPORT. Woman’s Art. Manifest zu der Ausstellung MAGNA, einer Ausstellung, an der nur Frauen teilnehmen, 1972 (aus „Neues Forum“).
[3] VALIE EXPORT: Adjungierte Dislokationen, Konzept (2. Seite). In „EXPORT LEXIKON. Chronologie der bewegten Bilder bei VALIE EXPORT“, hrsg. von Sylvia Szely (Wien, Sonderzahl 2007)
- Festivalkatalog 2020 PDF | 18 mb
- Festivalzeitung 2020 PDF | 23 mb
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